Kamelkarawanen waren 1881 in Taschkent üblich Foto: 1977 Äthiopien © Mennonite Heritage Archives von Eric Rempel und John Wieler Im Jahr 1880 reiste eine Gruppe mennonitischer Migranten aus Molotschna über Berge, auf Kamelen durch Wüsten und mit Planwagen nach dem asiatischen Russland. Ihre gefährliche Reise wird in diesen Briefen an die Rundschau beschrieben. Es gab Segnungen auf der Reise, etwa als die muslimische Gemeinschaft von Serabulak die mennonitischen Wanderer willkommen hieß. Eine der unten aufgeführten Schriftstellerinnen, Helena Graewe (1865-1942) #88939, wurde dort in einer Moschee getauft, zusammen mit 24 anderen. Die Gruppe ließ sich schließlich in Ak Metchet, Usbekistan, in der Nähe von Khiwa nieder, wo "sich die Einheimischen noch immer an ihre ausgezeichnete Holzhandwerkskunst, ihre landwirtschaftliche Produktivität und die Einführung neuer Technologien einschließlich der Fotografie erinnern." (Reimer, Canadian Mennonite) Ein zeitgenössischer Bericht aus dem Jahr 1884 war jedoch düster: "Die Mennoniten, die eine Heimat in Zentralasien suchten ... haben ihre lange, mühsame Reise als völligen Fehlschlag empfunden, haben das wenige, was sie hatten, verloren, und ihre Freunde in Amerika helfen nun einigen von ihnen, in dieses Land zu kommen" (Herald of Truth, 15. Juli 1884). Helena Graewe #88939 gehörte zu den Neueinwanderern nach Amerika in jenem Jahr. Ich habe die untenstehenden Briefe mit Hilfe von DeepL und Google auch übersetzt auf Englisch. Zur Verbesserung der Klarheit habe ich Absatzumbrüche und Aufzählungszeichen hinzugefügt. Wo möglich, fügte ich GRANDMA-Nummern für diejenigen ein, die in der hilfreichen genealogischen Datenbank der California Mennonite Historical Society identifiziert werden konnten. Ich bin auch Elena Klassen dankbar, die den ersten Brief und die Meldungen aus Tashkent transkribiert hat. Die Quellen sind unten aufgeführt. Enthalten sind:
Ich bete, dass Sie in dieser schwierigen Zeit des COVID-19 in Sicherheit bleiben. Wenn man die Schwierigkeiten liest, die andere durchlebt haben, relativiert es sicherlich das, was wichtig ist. - Irene Plett Anna Martens: Einkaufen in Tashkent veröffentlicht 15. Sept 1881 S. 1-2 Kopie eines Briefes aus Taschkent vom 23 April 1881. Liebe Freunde und Geschwister! Wie die Reise gegangen, ist nicht nothwendig zu schreiben, denn das ist Euch ja schon durch Briefe von hier bekannt. Wir haben unsere Wirtschaft hier beinahe in solchem Zustande, wie wir sie dort hatten, natürlich nicht so kostbar. Eine Bettstelle haben wir von Brettern zusammengenagelt, worin wir schlafen. Eine Schüsselbank habe ich in der Wand von den Brettern, die wir im Wagen zur Decke hatten. Eine Hobelbank hat mein Mann sich des Winters ververtigt, auch Gerätschaft hat er sich schon wieder angeschafft, welches hier von Wallnußholz gemacht wird. Das Werkholz ist meistens Pappelholz und wird in Brettern von 7 ½ - 10 Fuß lang und 6 ½ - 10 Zoll breit geschnitten und kostet solches von 10-50 Kop. per Stück. Das Stellmacherholz ist hier bedeutend schlechter, als dort bei Euch. Die Wagenbügel werden von einem Stück Rüsterholz, so wie es eben gewachsen ist, gebogen und preisen 75 Kop. bis 1 Rbl. Die Speichen werden von Rüsterbohlen geschnitten und kosten per Stück 6 Kop. Das Mittelholz zu den Wägen muß ebenfalls von Bohlen oder Rundholz gemacht werden. Einen Kreuzfuß-Tisch, eine lange Bank und zwei kurze Bänke haben wir, und zwar alles gefärbt. Unsere Kuh kostet uns mit Kalb 20 Rbl. Sie gibt jeden Tag so ungefähr 7 Quart Milch. Die Kühe sind hier russischer Rasse, aber kleineren Wuchses als die Euch bekannten. Unsere Kuh ist von schwarzer Farbe, das Kalb haben wir geschlachtet, sie gibt die Milch auch ohne Kalb. Einige aber wollen sie ohne Kalb nicht geben. Hier gibt es mitunter recht schöne Kühe, nur fehlt es ihnen an der deutschen Pflege. Pferde und Wagen haben wir auch noch. Einige der Brüder haben sich mit Kiesel- und Steinfahrten während unseres Hierseins bis zu 200 Rbl. verdient. Zwei Mann mit einem Fuhrwerk verdienen bei gutem Wetter per Woche bis zu 12 Rbl. und auch mehr. Wir haben noch immer zu essen; Fische haben wir schon recht oft gegessen. Ich darf sagen, es hat unter uns bisher noch Keiner Mangel leiden dürfen, wofür wir dem Herrn nicht genug danken können. Die Nahrung ist hier auch nicht sehr theuer:
Die Waare zu Kleidungsstücken ist hier zu verschiedenen Preisen zu haben. Die Waare von den Sarden, von welchen wir am meisten kaufen, ist billiger, als dort in der alten Heimath. Das Volk treibt hier Handel und Handwerk und bekennt sich zum Mohammedanismus. Die Waare aber in den russischen Handelshäusern ist theurer. Die Kirgisen sehen ziemlich aus wie die Sarden, gleichen aber mehr den Tataren und sind stumpfsinniger als jene; sie haben ihre Beschäftigung meistens in Karavanenführung. Ihre Kameele haben sie auf folgende Weise aneinander gefesselt: es wird dem Thiere ein Strick durch die Nasenhöhle gezogen und eins an das andere gefesselt treibt man bis 50 Stück hintereinander gehend vor sich her. Auf dem vorangehenden Kameel sitzt der Karavanenführer (ein Kirgise) und so reist er mit seiner Karavane von Ort zu Ort. Anschließend muß ich noch berichten wie es in und außer der Stadt aussieht. In der Stadt Taschkent sind fast alle Gassen mit Alleen von Weiden, welche an Wasserrinnen stehen, geziert. Diese Weiden stehe in ungewöhnlicher Höhe und haben ihre Aeste mit vollem grünem Laub so ausgebreitet, daß wir bei heißem Sonnenschein in ihrem Schatten gehen und fahren können. Die Bewässerungskanäle, welche manchmal mittelst hölzerner Röhren bis 3 Faden [5.5 Meter] hoch über die Thäler, die diese Stadt durchschneiden, geführt sind, brausen auf vielen Stellen durch die Stadt hindurch. Was das Getreide auf dem Felde anbelangt, so habe ich zu berichten, daß die Getreidefelder hier alle bewässert werden. Es ist hier bei uns anders, als dort bei Euch, denn, wenn dort die Hitze beginnt, so trocknen die Flüße aus; hier hingegen steigt das Wasser in den Flüßen, sobald auf dem Gebirge der Schnee schmilzt. Aus diesen Flüssen leitet man Bewässerungskanäle bis zu 50 Werst [53 Kilometer] in die Felder hinein, wodurch dann die Getreidestücke bewässert werden. Die Gerste hat schon die Aehren geworfen und steht stellenweise schon weiß zur Ernte aus. Der Weizen steht hier jetzt in Arschinhöhe [.71 Meter]. Wir haben bereits einen Monat lang unsern Pferden frischen Klee gefüttert. Das Futter war hier früher theuer; der Klee, welcher in Bündlein von ungefähr 10 Zoll im Durchmesser und eine Arschin lang [.71 Meter] gebunden wird, kostete, als wir herkamen, 4 Rbl. das Hundert, ist aber jetzt zu 2 Rbl. das Hundert zu haben; der alte Klee aber hat einen Preis von 3 Rbl. per Hundert. Von dem alten Klee brauchen zwei Pferde 7-10 Bd. den Tag, vom frischen dagegen noch einmal so viel. Wir haben unsern Pferden meistens solchen Klee und nur 3 Pud Gerste aufgefüttert, während wir den Wallach zum Steinefahren ausgeborgt hatten. Sie sind jetzt bedeutend besser als damals, da wir von Euch abfuhren. Das Brennmaterial ist zwar auch theuer, doch hat der Herr dafür gesorgt, daß es uns nicht viel Ausgabe verursachte, denn es ist von noch vor Weihnachten an bis eine ziemliche Zeit nach diesen Feiertagen so schönes Wetter gewesen, daß wir bei offenen Thüren in der Stube saßen. Die Hauptbrennung ist hier Rohr; dasselbe hatte früher den Preis von 4-8 Kop. per Bund. Gespaltenes Brennholz kostet hier von 5-7 Rbl. per Faden [1.8 Meter]. Ein Faden gibt ungefähr 1 ½ deutscher Wagenkasten voll. Die Kälte war bei uns diesen Winter unbedeutend, uns sind nur einige Male die Fenster ein wenig befroren gewesen, dagegen war es meistens kothig (dreckig? – E.K.), denn es hat sehr oft geregnet. Anfangs März wurde es schon recht warm, bis zu 25 Grad R. Die Aprikosenbäume standen schon mitten im Februar in voller Blüte. Jetzt, von einer Woche vor Ostern bis eine Woche nach Ostern, den 23 April [Datum des Briefes] hat es, wenn nicht des Tages, so doch des Nachts geregnet. Will noch bemerken, daß mein Mann jetzt Ziegelformen für die hiesige Ziegelei verfertigt; er bekommt per Stück 1 Rbl. Er hat bereits 10 Stück fertig und soll noch weitere 10 Stück machen; die Ausgaben dazu kommen auf 20 Kop. per Stück. Ich habe auch schon etwas Geld verdient mit Nähen für die Geschwister. Will noch bemerken, daß auf dem Wege hierher von den Unsern 9 Personen gestorben sind. Es waren dies:
Pferde sind unserer Gesellschaft auf dem Wege 5 Stück gefallen und 5 Stück haben müssen wegen Alterschwäche und Körperschaden verkauft werden. Wir haben im Ganzen 18 Wochen weniger einen Tag gereist und beträgt die ganze Strecke Weges 3550 Werst [3787 Kilometer]. Versäumt haben wir wegen Futter- und Nahrungkaufen, Sterbefällen, Entbindungen, Regen u.s.w. 26 Tage außer den Sonntagen. Die Sandwüßte erstreckt sich auf 325 Werst [347 Kilometer]. Wir haben in derselben von 32-49 Werst [34-52 Kilometer] den Tag gereist. Mein Mann ist auf der Reise fieberkrank gewesen, aber er hat noch immer so ziemlich Alles besorgen können, ist ein Pud leichter geworden. Ich bin ebenfalls auf dem Wege krank gewesen und habe stark gelitten; dennoch müßte ich während dieser Zeit die Gebierge überschreiten, welche sich auf 150 Werst [160 Kilometer] erstrecken und ziemlich steinig waren. Von der Zeit, da wir hier eintraten, sind im Ganzen ihrer 12 gestorben, darunter:
Geboren sind auf der Reise 6 und hier in Taschkent 9 Kinder. Die Ehefrau des Joh. Wiebe, Wernersd[orf], liegt hart darnieder, jedoch steht ja Alles in Gottes des Allmächtigen Hand. Wir wohnen noch in Taschkent, wissen auch nicht, wann wir aufs Land oder weiter ziehen werden, obzwar unsere Deputirten schon Land angesehen haben, welches 300 Werst [320 Kilometer] von Taschkent entfernt liegt. Da nun aber unser lieber Kaiser in dieser Zeit starb [Alexander II. Wurde am 13. März 1881 ermordet], und unser General [Konstatin Petrovich von] Kaufmann vom Schlage gerührt liegt und durch einen Andern vertreten wird, der sich erst in sein Amt hineinfinden muß, bleibt unsere Sache noch unausgeführt. Der Herr aber wird Alles wohl machen; wir bitten, unsrer vor Gott zu gedenken; und so schließe ich mein Schreiben und grüße alle Freunde und Bekannte. Anna Martens früher aus Wernersdorf. Unsere Adresse schreibt man am besten in russischer Sprache und mit russischen Buchstaben*): Tscheres Orenburg [через Orenburg – durch Orenburg, nach Elena Klassen] w.gorod Taschkent [в город Ташкент – nach Elena Klassen) Johann Martens Via Europe to Asiatic Russia. *) – Leider haben wir in unserer Druckerei keine russische Schrift, sonst hätten wir sie für die drei ersten Zeilen der Adresse angewandt. D.R.d. [die Redaktion] “Rundschau” Jakob und Agatha Janzen: Ein spezieller Bericht über Sterbefälle Die Verfasser dieses Briefes könnten Jacob Franz Janzen (1844-1917) #109399 und Agatha Neufeld #109401 (1842-1916) sein. Sie erwähnen drei Töchter und sechs Söhne; der älteste, Jacob, starb 1881. In GRANDMA wird es gezeigt, dass die Eltern zwei weitere Söhne hatten, von denen einer in Kasachstan geboren wurde, nachdem der Brief geschrieben worden war. Für Sohn Jakob #109549, der in der Geburtsreihenfolge an dritter Stelle steht, werden keine Daten angegeben. veröffentlicht 1. Feb 1882 S. 2:1 Taschkend 5 Nov. 1881. Geliebte Geschwister in Christo! Was kann es schönres geben, und was kann seliger sein, als wenn wir unser Leben, dem Herrn im Glauben weih’n? Mit nicht geringer Freude durfte ich vergangenen Sonnabend d. 31. Oktober*) deinen werthen Brief nach unserm Stpl vom 3 September lesen. Nun geliebter Bruder, wie du uns aufgeforderst zur Theilnahme an Euren Empfindungen, so muß ich auch Euch mitzuempfinden ersuchen von dem, was wir empfinden. Doch es geht mir eigentümlich. Ich weiß nicht, ists Freude oder Trauer, woran Ihr Theil nehmen sollt; ohne tiefe Seufzer und manche Thräne gebts eben unsererseits nicht ab. So manches mal haben wir, seitdem wir unsere Hochzeit gefeiert, unsern Wohnort gewechselt. Es sind der Orte, wo wir gewohnt eben so viel als wir Kinder zählen, und das sind 6 Söhne und 3 Töchter; und noch haben wir sonst nirgends einen Grabhügel gemacht, hier aber in Taschkend birgt eines der 28 Gräber, die wir hier gemacht, die hülle unseres ältesten Sohnes. Da wär ich mir denn sonst klar, daß ich Euch zum Mitweinen auffordern würde, doch es hat der Herr gethan, und Gottlob! wir wissen unsern Jakob bei Jesu; daß er zu Jesu gehe, versicherte er uns noch mit dem letzten Atem. So können wir uns denn einerseits freuen, er ist alles Leibs überhoben, anderseits aber vermissen wir ihn sehr. Im vorigen Winter half er in der Schule; jetzt aber vertritt Heinrich Janzens Kornelius seine Stelle. Hiermit ist auch schon deine Frage, ob Janzens hier sind, beantwortet. Auch Jakob Funk ist hier, er ist noch lebig. Den 9. Oktober durften wir sie mit noch 3 Familien von der Molotschna und 6 Familien vom Kuban begrüßen. Ihre Reise hierher ist über Erwarten glücklich zurückgelegt. Krankheit haben sie ganz wenig leiden dürfen, gestorben ist keiner, außer am Trackt (Wolga) [mennonitische Siedlung Am Trakt] ist ein kleines Kind gestorben während sie sich dort die Fahrzeuge berrichteten. Bis dahin nämlich waren sie der Dampf gefahren. Pferd ist auch keines gefallen. Du hast auch von H. Janzens und ihren Kindern Briefe zu erwarten, jetzt lassen sie alle sehr grüßen. Die Anna ist krank, auch Heinrich kränkelt. J. Funk läßt auch sehr grüßen, er hat es hier gleich sehr drock, eben weil ihm allerlei zur Hand steht. Er richtet sich jetzt eine Werkstube ein, er gedenkt sich sein Brod mit Tischlerarbeit und Malerei zu verdienen. Die “Rundschau” hatte ich einige Tage vor deinem Briefe erhalten, und also kennen gelernt. Das Blatt gefällt mir außerordentlich. Möchte gern demjenigen, durch dessen, Vermittlung ich sie erhalten, meinen Dank abstatten. Ich freue mich, durch dieses Blatt an so viele liebe Freunde und Bekannte zu gleicher Zeit schreiben zu können. Auf diese Weise kann ich auch den vielen Lieben in Amerika ein Lebens- und Liebes-zeichen geben, was mir, wenn ich jedem besonderes schreiben soll, nicht gelingen will. Da fiel mir heute schon Heinrich Schmidt bei, mein ehemaliger Schüler in Gnadenthal, dem ich noch eine Antwort schulde auf einen Brief, den ich von ihm am Kuban erhielt. Ich habe mich damals herzlich gefreut, daß sich einer meiner Schüler so lieblich vernehmen ließ; gleich darauf zu antworten wollte nicht werden und so ists verblieben; möchte hierdurch einigermaßen daß Versäumte nachgeholt haben. Die Adresse ist mir abhanden gekommen. Am 7. November, vorgestern Abends fiel hier schon Schnee, obzwar die Bäume noch nicht völlig entlaubt sind; heute ist Sonnenschein, ist zu bezweifeln, ob der Schnee bis Abend vorhalten wird. Die Sommerhitze war erträglicher, als man es sich dachte. Zwar ist es wol öfter bis 49 Gr. R. warm gewesen, doch haben die Unsern ihre Arbeit (namentlich Fahren, Steine, Kiesel, Ziegeln und Erde, kurz was es kenn gibt für Fuhriohn zu fahren) immer fortsessen können. Der Regen ist hier dieses Jahr nicht so früh im Frühjahr verschwunden als man es gewohnt ist, auch hat es jetzt im Herbst außer Erwarten früh angefangen zu regnen. Der letzte Frühregen kam Pfingsten, und der erste Spatregen d. 16. Sonntag nach Trinitatis [das Fest der Dreieinigkeit], und liegen wol 17 Wochen dazwischen, wo es nicht geregnet hat, was nach diesiger Bewohnheit wenig ist. Dem Herrn unserm Gott stehen ja auch die Gesetze der Natur zur Verfügung. Zur Verwunderung unserer Verwandten und Freunde müssen wir mittheilen, daß wir noch keinen Ansiedlungsplatz haben. Diejenigen Jünglinge, die bei der Uebersiedlung hierher 15 Jahre und darüber bis 20 Jahren waren, sind laut Gesetz schon verpflichtet zu dienen, und so gern man uns hier auch hat, über diese Angelegenheit ist man in Skruppel; Gott weiß, wie sie Einwanderern sind Freifahre zuerkannt und Land gibt die Krone uns gern. Auch kann ichs nicht unerwähnt lassen, daß man uns hier in der Stadt jetzt schon den zweiten Winter das Quartir unentgeltlich läßt, so auch Lokalitäten für Schule und Gottesdienst. Gegen unsern Gottesdienst bezeugt man wahre Hochachtung; ja überhaupt genießen wir hier Achtung die an jenes “Hosanna” in Jerusalem erinnert, Gott weiß, ob vielleicht bald das “Kreuzige” auch in Erinnerung kommen wird. Was diese Achtung anbelangt, so ist das selbstverständlich von der russischen Bevölkerung vorzüglich gesagt, aber auch die Einheimischen verdienen in dieser Beziehung unser Lob. Es sind meistens Mohamedaner, und in ihren Sitten und Gebräuchen noch recht alterthümlich. Durch manchen Anblick wird man an verschiedene Ausdrücke in der Bibel erinnert [Markus 2,4]. Wenn man die hiesige Bauart besieht, denkt man an das Dachaufgraben der Viere, die den Gichtbrüchtgen vor Jesu ließen. Denn man hat einfach Balken auf die Mauer gelegt, dann aufgespaltene weidene Aeste in der Dicke eines Kinderarms von einem Balken zum andern (manchmal recht dicht) übergelegt, dann kommt eine Bordan, eine aus trockenen Rohrstangen künstlich geflochtene Matte, halb größer halb kleiner, von der Größe eines Deckels einer deutschen Kiste, diese sind dann aus gespaltenem Rohr gefertigt, recht schön, bis zur Größe einer kleinen doppelten Scheuerthüre rfp. cir., 4 Arschin [2.8 Meter] lang und eben so breit. Auf diese Bordanten, die auch zu verschiedenen andern Zwecken verwendet werden, schüttet man Erde, tritt diese fest und verschmiert oben auf mit gutem Lehm. Da ist denn bei einiger Mühe möglich, ein Bette mit einem Kranken durchzubringen. Kein Nagel, weder hölzern noch eisern ist zu solchem Bau notwendig. Siegt man wieder das Kameel mit Butter, Klee oder Luzerne beladen eins hinter dem andern zusammengebunden, oft das folgende am Schwanz des vorhergebenden, einherschreiten, und ihnen ist entweder mit einem Strick geradezu das Maul zugebunden, während man den Strick um Unterliefer und Schnauze berumschnürt, wie wir es wol dem zu schlachtenden Rind oder Schwein thun, oder sie haben ein eigens dazu verfertigtes Maulnetz auf, dann denkt man an jenes Wort: “Du sollst dem Ochsen der da drischt das Maul nicht verbinden.” [5 Mose 25:4] Wiederum bin ich durch den eigenthümlichen Bau hiefiger Thore, die sich oft unter einem ziemlich großen, sorgfältig gebauten Dach befinden, an die Verhandlung über das Erde Elimelechs und die Heirath der Ruth erinnert [Ruth 4]. Unter selchem Thore hat eine ziemliche Versammlung Platz. Wenn Freunde zusammentreffen, die sich etwa selten treffen, oder die sich besonders lieben und ehren, so sieht man eine Begrüßung so ceremoniell, daß man denkt, darum habe der Heiland auch wol das Grüßen auf dem Wege verboten, wenn Er seine Jünger mit besondern Aufträgen aussandte. Doch ich muß mich kurz fassen, daß mein Brief auf die Post kommt. Sende anbei einen Brief von Bruder Johannes Penner, früher Bezirkslehrer von Köppenthal (Wolga). Er ist als Gemeindelehrer von dort mit hergekommen, und als solcher mitgegangen nach Buchara, wohin die Brüder von der Wolga gingen, um dort zu suchen, was man uns hier noch nicht versprochen, Freiheit auch für die in Rede stehenden Jünglinge. Einen unter ihnen hatte nämlich das Loos getroffen, und die Behörden machten Ansprüche an ihn. Spätere Nachrichten aus Buchara bringen noch nichts Erfreulicheres, als gedachter Brief von Br. Penner enthält. Scheints dir geeignet, so verschaffe ihm Platz in der “Rundschau.” Auch sonst magst aus diesem einrücken, was dir eben geeignet scheint. Eure Geschwister, Jak. u. Agatha Janzen. P.S. Ein spezieller Bericht über Sterbefälle: Seit Neujahr sind von den Unsern hier gestorben: 3 Ehemänner:
Sechs Ehefrauen:
Vier Jüngliche sind gestorben:
Auch starb Wallen Tiene (12 Jahr) aus Alexanderkron; dann noch mehrere Kinder under 2 Jahren. Die Gesammtzahl der Gestorbenen seit Neujahr beträgt 27. Dietrich Braunen aus Blumenort sehnen sich sehr nach Nachricht von ihren lieben Kindern in Amerika; sie grüßen sie herzlich; Ihre Tiene ist hier gestorben. Auch grüßen sie mit Innigkeit Franz Edigers aus Gnadenfeld und bitten sehr um Nachricht und Adresse. Einen herzlichen Gruß an Alle, die sich meiner erinnern. Jakob Janzen. *) Der Brief brauchte also von Elkhart, Amerika, bis Taschkend, Uffen, cirka zwei Monate, was zwar eine Lange Zeit ist, doch es immerhin ermöglicht, mit den Lieben in der Ferne einen Briefwechsel zu unterhalten. Auf Ersuchen mehrerer unserer Leser geben wir nochmals die Adresse dorthin, und zwar noch etwas volständiger als in No. 8 11 Jahrg. Man schreibe in rußischer Sprache: Tscheres Gerek [?] Orenburg Mennonite … (Name) - ….. Taschkend. Via Europe to Asiatic Russia (Die letzte Zeile schreibe man in Englisch.) Die Redaktion. Johann Penner: Vertreibungen in Usbekistan veröffentlicht 1 Feb 1882 p 2:1 Nachstehendes Schreiben von einem Leidensgefährien an den andern wurde uns von Br. [Jacob] Janzen [oben] zur Verfügung gestellt. Wir betrachten es als einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Uebersiedler. Interessant ist es noch, daß es etwas in die innern Gemeindeverhältnisse hineinblicken säßt und die gegenseitigen freundschaftlichen Gesinnungen bekundet. Es lautet wie folgt: Geschrieben von der bucharischen Grenze am 11. Okt. 1881. Mein lieber Bruder Jakob Janzen! Den Frieden unseres Herrn Jesu Christi wünsche ich Dir, den Deinen und allen Brüdern zuvor! Ich hatte es mir vorgenommen, nicht früher an Dich zu schreiben, als bis wir uns niedergelassen haben würden. Da sich aber nun durch die Brüder aus Eurer Mitte, die uns unsere in Kaplanbek [in Usbekistan] nachgelassenen Sachen hergebracht haben, so passende Gelegenheit bietet, so will ich bei meinem Vornehmen nicht bleiben. Zur Ruhe sind wir noch nicht gekommen; der Stand unserer Sache ist der: Vor ungefähr 5 Wochen sind wir aus Buchara ausgewiesen worden, nachdem wie dort eine Woche auf den Bescheid vom Emir gewartet hatten. Der Aufbruch mußte zwar schnell geschehen, (zwei Wagen waren zerbrochen, Fast’s kleine Agnete sollte beerdigt werden, das Grab war schon fertig, es wurde aber kein Aufschub bewilligt, Fast mußte sein Kind als Leiche mitnehmen, und die Wagen mit den zerbrochenen Nädern wurden aufgeschleist), dennoch können wir nicht über Unbillklagen, einer der befehlenden Beamten beschenkte mehrere Kinder sogar mit Zucker. May begleitete uns einige Werst ins Russische, und mit Buchara hatten wir vorläufig abgeschlossen. An dem Katte-Burganer Regierungschef (Ratschalnik) fanden wir einen väterlichen Freund, der eröffnete uns, daß sich zu beiden Seiten der russisch-buchar. Grenze ein ziemlich großes Stück Ackerland hinziehe (ohne Bewässerung), das für Weizenbau sich eigne und ungefähr 16 Werst [17 km] lang und eben so breit sei und Eigenthum zweier Moscheen in Samarkand [in Usbekistan] sei. Wir erfuhren nun weiter, daß es Pachtland sei und der Pachtpreis für 1 Jahr in breizehntel des Ertrages bestehe. Man rieth uns, in Samarkand mit den über das Land gebietenden Personen (ungefähr 6 Mullahs und 1 Kaufmann) die Ansiedlung auf dem Moscheenland abzuschließen. Wir schickten Herm. Janzen, Gerh. Esau und Cor. W. Penner hin. Nachdem sie 1 ½ Wochen dort gewesen waren, kamen sie unverrichteter Sache zurück. Die Mullahs sahen es zwar gerne und waren froh dazu, daß wir uns auf ihrem Lande niederlassen wollten, aber hiezu war außer der Genehmigung des Samarkandes Ratschalniks auch die des bucharischen Emirs nöthig. Jener ertheilte sie sofort, dieser aber hatte eine Reise in südliche Gegenden unternommen, so daß längere Zeit über die Ankunft seiner Antwort vergehen würde. Das war das Resultat der Reise nach Samarkand. Da erhielten wir am vorigen Montag durch den Katte-Burganer Ratschalnik den Befehl vom General Gouveneur, daß E. Quiring sich stellen sollte. So machen wir uns denn zum zweiten Male auf, die Grenze zu überschreiten, was der Ratschalnik seiner Behörde berichtete, auch daß wir den E. Q. mitgenommen. Schon vorher hatten wir uns das Moscheenland zeigen lassen, daß wir nun wußten, wohin wir uns zu wenden hatten. 12 Werst südl. vom Ssaraffschanthal steigt ein ziemlich hohes Gebirge auf, an dessen nördl. Abhange hatte man uns eine Quelle gezeigt; dorthin zogen wir. Das war am Dienstag. Am darauffolgenden Donnerstag erschienen wieder bucharische Beamten und geboten uns, Buchara zu verlassen, das Land, worauf wir uns befänden, wäre nicht Moscheenland. Man erwiderte ihnen, wir könnten unter keinen Umständed nach Rußland zurück, wir wären dort einem Gesetze verfallen, das wir nicht annehmen könnten. Darauf erlaubte [unlesbar] uns, auf das Moscheenland zu fahren, wo wir auf weitere Ordre warten sollten. Später, 13. Oktober. Gestern kam ich nicht zum Schreiben, ich hatte in der Nacht von Sonntag auf Montag bei dem alten Dietrich Wiens #25820, fr. Blumstein, der sehr krank hier ankam, gewacht. Während wir die Abendandacht hielten, ist der leidende Bruder von diesem Pilger- und Jammerleben erlöst worden. Gott gebe ihm in Gnade das Erbtheil, das uns bereitet ist von Anbeginn der Welt….. In Kurzem habe ich Dir den Stand der Dinge mitgetheilt. Der Heiland sagt: “In der Welt habt ihr Angst,” das erfahren wir reichlich; Er fährt fort: “Aber seid grtrost, denn ich habe die Welt überwunden” [Johannes 16, 33]. Da lernt man, den Beruf für die Ewigkeit im Glauben ergreifen. Die Erde versagt uns Alles. Wie dunkel will es einem da so oft vor den Augen werden, aber dem Gerechten muß das Licht immer wieder aufgehen in der Finsterniß, und durch Christi Blut sind wir Gerechte. Mein Theurer, ich hätte wol Manches Dir zu sagen, aber wie kann Tinte und Feder das lebendige Wort ersetzen! Ich habe mich sehr gefreut, daß Ihr, wie ich aus einem Briefe des Br. Corn. Dyck und [unlesbar] P.(?) Quiring ersehen habe, auch nachzukommen gedenkt. Wohin? Nun, Gott kann seine Verheißungen nicht unerfüllt lassen. Lasset uns rufen Tag und Nacht, daß Er uns errette in einer Kürze. Ich sprach heute mit Onkel Klaaßen (er war recht leidend, jetzt etwas beser) über Eure Lage; er sagte, “Der Tag, an dem wir mit den Malotschnaer Brüdern vereinigt würden, würde mir ein Freitag, ein Tag hoher Freude sein.” Die Stimme zitterte ihm vor innerer Bewegung. O Brüder, Gott hat es zwar zugelassen, daß er zur Trennung gekommen ist, aber Er kann es nicht zulassen, daß wir getrennt bleiben. Kann Gott denn schweigen, wenn Ihr und wir Eine Bitte vor seinen Tron bringen, die Bitte um Einigung in Ihm? Und wenn Er unser armes Gestammel zurückwiesr, so kann Er doch nicht die Bitte seines Sohnes, unseres Vertreters, Joh. 17, 11., überhören. [“Und ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, dass sie eins seien wie wir.” Lutherbibel 2017] Die Einigkeit im Geist, umschlungen vom Bande des heiligen und heiligenden Friedens werde unser gemeinsames Eigenthum. Die Gemeine Jesu muß einig werden in Ihm. Laßt uns nicht fragen: Wie soll es aber werden? Da bin ich auch mit meinen Gedanken am Ende, aber wir wollen rufen und glauben, daß es werden soll. Wenn Gott und wir wollen, was soll uns dann wol hindern! Lieber Bruder, schreibe doch einmal. Ich habe gehört, daß du wieder Schule hältst, Gott segne dich und stärke dich mit seiner Liebe und Geduld. Daß Bruder Abr. Peters noch immer recht leidend ist, schmerzt mich; Gott erhalte ihn. Brüder, ich habe Euch lieb, o liebte ich stärker. Grüße Br. Peters sehr von mir, und besonders von Onkel M. Kl., der ebenso auch dir seinen Gruß entbietet. Grüße alle l. Amtsbrüder, Br. Abraham Wiebe und Braun. Cornelius Waller sind ganz in eurer Nähe, meine herzlichtsten Grüße an die ganze liebe Familie, sowie auch von meiner Frau, diese grüßt auch dein I. Weib. Seid ihr alle gesund? Gott stärke uns in den trübsalsvollen Tagen der fluchbelabenen Erde. O, wie viel banges Sehnen, Seufzen der Kreatur und der Kinder Gottes. Gott hilfe uns durch Jesum in die Heimath. Jerusalem, das droben ist, die ist unser aller Mutter. O Bruderherz, wie wird uns sein, wenn wir durch die Perlenthore Salems einziehen und die Wohnungen, die Jesus uns bereitet hat, beziehen werden? da werden unsere Hallelujahs noch so viel “Kyrie Eleisons” [Herr, erbarme dich] dem Throne Gottes und des Lammes entgegenhallen mit starkem Siegesgeschrei. “Über ein Kleines.” [Joh. 14, 19: Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. Lutherbibel 2017] Wer weiß, wie bald? In herzlicher Liebe dein nach dem obern Jerusalem mitpilgender Bruder Joh. Penner. Meldungen aus Tashkent veröffentlicht 1 Februar 1882 S. 3 Diese Serie von Meldungen aus Taschkent hat mich besonders interessiert, da sie uns mehr über Anna Pauls, eine der 1881 verstorbenen Bewohnerinnen, erzählt. Ihr Ehemann, Dietrich Peters (1859-1932) #2339, heiratete erneut und zog später nach Kalifornien. Auch die Familie Thomas Koop konnte in GRANDMA identifiziert werden. Peter Pauls (1837-1881) #586039 und Anna Gaede (1839-1902) #1320186 haben vier Kinder, die in GRANDMA aufgeführt sind. Die ersten drei wurden in Friedensruh geboren; das vierte, Heinrich #262218, nachdem dieser Brief in Taschkent geschrieben wurde. Der Vater starb im Dezember desselben Jahres. Heinrich zog später nach Kalifornien. Tochter Anna (1862-1881) ist neu bei GRANDMA. Peter Pauls #586039, früher in Friedensruh, hat mit Interesse in der „Rundschau“ die Nachricht von der Tochter seines Bruders Heinrich Pauls #34153, früher in Fürstenwerder, gelesen. Da er die Adresse des H.P. nicht hat, so möchte er sie durch die „Rundschau“ erfahren. Zugleich wünscht er seinen sämmtlichen Freunden und Bekannten die wichtigsten Ereignisse seiner Familie auf demselben Wege mitzutheilen. Das ist denn besonders das Schicksal ihrer Tochter Anna, das ihnen sehr nahe liegt. Dieselbe wurde nach unserer Ankunft in Taschkent am 17 Dezember v. J. mit noch einigen jungen Leuten, und zwar Dietrich Peters (1859-1932) #2339, Sohn unseres Bruders [in Christus] und Ältesten A. Peters (1833-1882) #2336, und Helena Wiebe, Tochter des Abr.Wiebe aus Wernersdorf, getauft. Am 19 April d. J. trat sie mit genanntem D. Peters #2339 in den Ehestand, und nach einem Zeitraum von nur 11 Wochen rief der Tod sie von hier ab. Sie war 25 Tage hart krank, die meiste Zeit sprachlos. Den 6 Juli starb sie im Alter von 19 J. 3 W. Welche Reihe von Erfahrungen in so kurzer Zeit. Kornelius Dück, früher in Wernersdorf, (ganz gelähmt) möchte gern erfahren, wie es seinem Vetter Kornelius Wiens in Minnesota geht, und bittet um seine Adresse. Peter Dahlke, früher in Friedensruh, hat mit herzlicher Freude die Zeilen von Peter Funk, früher in Friedensruh, jetzt Newton Kansas, gelesen in No.3 II Jahrg. der „Rundschau“ und entbietet ihm sammt seinen Kindern seinen herzlichen Gruss. Er ist mit seiner Familie, außer der ältesten (Stief-) Tochter in Taschkent, befindet sich glücklich und wohl. Johann Dörksen, Wernersdorf, (ledig, blind) möchte durch die „Rundschau“ nach der Adresse der Söhne des Jakob Dörksen (Arzt), früher Bergthal, jetzt in Manitoba, fragen. Er, D., befindet sich hier gegenwärtig ganz wohl. Thomas Koop aus Tiegerweide möchte gern von den Brüdern seiner Frau, Abr. und Heinrich Böse, früher aus Sagradowka und in Blumenort, wenn auch nur etwas erfahren. Er sammt Frau und Kindern ist, Gott Lob, gesund. Tochter Anna ist mit Jakob Wiebe, Sohn des Peter Wiebe aus Wernersdorf verheiratet. Martin Janzens lassen ihrer Mutter, W. Ar. Reimer aus Fürstenwerder, wissen, dass die Briefe auf der ihr gesandten Adresse verloren sind, falls solche abgesandt wurden, denn wir sind eben noch in Taschkend. Herzlichen Gruss an Mutter und Geschwister. Janzens sind gesund. Helena Graewe: Wenn am stärksten geh’n die Wogen, bete nur! In diesem Brief 35 Jahre nach ihrer Reise nach Taschkent berichtet Helena Graewe (1865-1942) #88939 von den tragischen Verlusten zweier Familienmitglieder auf der Reise. Helena und die überlebende Familie wanderten 1884 in die USA aus und ließen sich in Newton, Kansas, nieder. veröffentlicht 23. Feb 1916 S. 5 Hillsboro, Kansas, den 8. Februar 1916. Werter Editor und Leser! Ich will wieder etwas schreiben. Das Wetter ist heute wunderschön; die Sonne sendet ihre Strahlen so lieblich herab. Doch der Schnee liegt noch fest und will sich nicht so leicht verschmelzen lassen. Es ist eine Zeitlang recht kalt gewesen. Kranke sind diesen Winter viel, und die Grippe macht beinahe in jedem Hause die Runde; so war es bei uns auch. Und sie tritt in diesem Jahr recht stark auf, überhaupt, wenn man sich in der Zeit noch erkältet, ist schwer von ihr loszukommen. Tante [Ehefrau von] Bernhard Schmidt liegt auch schon eine Zeitlang krank, sie fühlt sich in solchen Stunden noch einsamer als sonst. Sie hat schon viele Jahre ihrer Gesundheit halber nicht können zur Kirche fahren. Auch liegt die alte Tante Peter Schmidt [Helena Duerksen #2879] jetzt krank, wohl alt und lebenssatt [sie lebte bis 1933]. Der Herr weiß die rechte Zeit und Stunde. Ein mancher muß weg, der noch so gerne hier bliebe, und ein mancher bleibt, der so gerne schon scheiden möchte. Der Herr verfehlt aber nichts, sein Weg ist gut. Auch der Jüngling Peter Warkentin liegt noch immer auf seinem Siechbette. Wiel viele brieflich nach ihm fragen und gerne wissen möchten, wie es mit ihm ist, so will ich hier einiges berichten. So wie vielen bekannt ist, fiel er den 8. Mai in California von einem Gerüst. Dabei wurde sein Rückgrat so beschädigt, daß er von Stund an ganz hilflos war. Da lag er dort einen Monat im Hospital. Dann fuhr seine Stiefmutter Frau A. C. Schmidt hin, ihn zu holen, was ich schon einmal geschrieben habe. Dann brachten sie ihn hier ins Gösselhospital. Da war er zwei Monate. Dann wurde sein Verlangen so groß, noch einmal zuhause zu sein, daß sie versuchten ihn zu holen. Und es ging noch besser als sie dachten. Und so wird er denn seit sechs Monaten daheim gepflegt. In dieser Zeit hat er mehrere Wochen so schwer krank gelegen, daß wer ihn besuchte, dachte, sein Ende sei ganz nahe. Doch der liebe Gott dachte auch hier wieder anders als wir kurzsichtigen Menschen. Seine Wege sind nicht unsere Wege, daß muß man doch so oft bekennen. Jetzt kann er wirder ein gißchen essen und auch mehr schlafen; kann sich selber etwas lesen. Doch ist es für ihn und für seine Eltern, die ihn pflegen, nicht leicht, und es kostet ernst Gebete. Doch der Herr gibt Kraft, und so bewahrheitet sich recht dieser Vers: Wenn am stärksten gehn die Wogen, Wenn, von stiller Macht gezogen, Deine Seele afwärts dringt, Nach dem einen Höchsten ringt, Bete nur! Bete nur! B. G. Dörksens, Kalifornia, Ihren Brief erhalten. Danke! Sie fragen nach meines lieben Eltern Heinrich Gräwen [Heinrich Graewe #265716 und seine Ehefrau Anna Schmidt #86923]. Die Kinder fuhren mit dem Brief hin. Sie hatten sich sehr gefreut und einen Gruß bestellt. Sie wohnen im Städtchen Gössel. Manchmal fühlen sie sich recht einsam; denn Vater kann nicht mehr unter viel Leuten sein, weil er dann große Kopfschmerzen bekommt. Er freut sich aber, oder beide, wenn wir sie besuchen. Er spricht dann oft von seinen vorangegangenen Lieben und wie verstreut sie doch in ihren Gräbern versenkt sind. Ein Sohn [Peter Graewe #265719] von zwei Jahren starb in Rußland. Der andere [Heinrich Graewe #265718], 19 Jahre alt, starb auf der Asienreise, nachdem wir 18 Wochen auf dem Wagen gereist waren und der Winter uns übereilte und wir in der Stadt Taschkent über Winter blieben, wo wir alle das Typhusfieber bekamen und er daran sterben mußte, nachdem er 40 Tage gelegen. Er wurde auf einem Soldatenkirchhof begraben. Dann um ein Jahr, als wir aber auch noch auf der Reise waren, wurde seine liebe Gattin, unsere so heißgeliebte Mutter [Katharina Giesbrecht #265703] so krank, mußte mehrere Wochen so krank auf dem Wagen fahren, dann noch durch die Wüste auf Kamelen, was fast unmöglich war, dann noch auf einem offenen Kahn auf dem Wasser fahren. Dann starb sie und wurde auf dem Lande in einem wilden Walder begraben. Und wir fuhren weiter, haben ihr Grab nie wieder gesehen. Ein bewegtes Leben hat er soweit hinter sich, und das zieht dann so an seinem Geist vorüber. Er hat jetzt 29 Jahre mit dieser zweiten Mutter [Anna Schmidt #86923] zusammengepilgert und mit der ersten beinahe 25 Jahre. Sie Können sich noch selbst besorgen, welches eine große Gnade ist. Doch ich will abbrechen. Bitte um Entschuldigung, daß es zu lang geworden ist: wollte es auch nicht, macht vielleicht, daß ich heute so allein bin, und es ging weiter wie ich sonst wohl wollte. (Wir glauben nicht, daß jemand daran Anstoß nehmen wird. Ed.) Gruß an alle Leser. Auf Wiedersehen! Hel. [Graewe] Warkentin #88939. Quellen
Neben der genealogischen Datenbank GRANDMA der California Mennonite Historical Society gibt es weitere Quellen:
0 Comments
Leave a Reply. |
WriterIrene Plett is a writer, poet and animal lover living in South Surrey, British Columbia, Canada. Archives
December 2020
Categories
All
|