Jakob and Emma Plett 1983 in Vancouver Mein Onkel Jakob berichtet in diesem Auszug aus seiner Lebensgeschichte über die Flucht seiner Familie von Russland nach Deutschland. Ich wuchs in einem schönen Dorf [Neu-Schönsee, Sagradowka] auf. Ich kann mich noch sehr gut an unseren Hof erinnern. Wir hatten einen schönen Garten mit vielen Obstbäumen und Beerenbüschen. Meine Mutter warnte mich oft und verbot mir, auf die hohen Bäume zu klettern. Aber mir schmeckten die Maikirschen so gut, dass ich des öfteren diese Verbote missachtete und doch auf die Bäume stieg. Doch Gott bewahrte mich, dass ich nicht von den Bäumen fiel. Wir hatten eine sehr gute Kuh Zuhause. Sie gab jeden Abend einen Eimer voll Milch, wenn sie von der Weide kam. Ich durfte dann immer mit meiner Schwester Anna zu Dorfmitte laufen, wo eine Schleudermaschine stand mit der man Schmand machte. Ich half dann immer, die Eimer nach Hause zu tragen. Die meiste Zeit war ich alleine zu Hause zum spielen. Entweder spielte ich im Haus oder im Hof. Im Sommer jedoch, wenn es warm war, setzte ich mich hinter dem Haus neben eine kleine Hecke, die schön Schatten spendete. Dort hielten sich aber auch die Hühner auf. Weil ich nichts zu tun hatte fing ich eine Henne ein. Als dies der Hahn sah, sprang er mich an und biss sich an meiner Lippe fest und riss sie auf. Das war’s dann auch für den Hahn. Abends gab es dann eine schöne Hühnersuppe. Die Narbe ist auch heute noch sichtbar. Danach hatte ich Angst hinter’s Haus zu gehen. Deshalb ging ich dann immer zu unseren Nachbarn. Es war die Familie Giesbrecht. Da spielte ich immer mit dem Sohn Heinrich. Da er aber älter war wie ich, wollte er nach einiger Zeit nicht mehr mit mir spielen, weshalb ich dann mit seiner Schwester spielte, die etwa in meinem Alter war. Dort bekam ich auch oft zu essen, wenn ich hungrig war. Ich hielt mich dort gern bis zu Abend auf, bis ich meine Mutter hörte, wie sie rief: "Jasch, komm gleich nach Hause waschen." Das gefiel mir gar nicht und ich rief zurück, “Ach, schon wieder waschen.” 1943 Flucht nach Deutschland Nun doch mal zurück ins Jahr 1943 als unsere Mutter mit uns 6 Kindern nach Deutschland fliehen musste. Sie bekam einen Karren mit einer Bude drauf und ein Pferd zum ziehen. Es war eine sehr schwere Reise, doch uns blieb nichts anderes übrig. Wir banden die Kuh hinten an den Wagen an nahmen etwas Heu sowie Lebensmittel mit und dann ging es los. Menschlich gesehen, war diese Reise ohne Aussicht auf ein Ziel. Keiner würde denken, wenn er uns sehen würde, dass wir nach Deutschland wollen. In der Bibel steht jedoch ein Vers der besagt, “Was bei Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich.” Wir kamen mit der Kuh bis in die Stadt Winiza, wo wir Wagen und Kuh dalassen mussten und mit dem Zug weiterfuhren. Wir erfuhren aber auf diesem Weg Gottes Führung und Leitung in allen Dingen. Vor uns lag die Flucht und hinter uns verfolgte der Krieg. Doch hinter all diesen widrigen Umständen stand unsere betende Mutter mit dem festen Glauben, dass der Herr die Seinen nicht verlässt. Mit diesem festen Glauben lebte meine Mutter auch bis ans Ende. Sie sang oft das Lied, “wandle mutig weiter nach der Heimat him.” Von Winiza ging es dann weiter nach Litzmannstadt [jetzt Łódź, Polen]. Zu dieser Fahrt noch eine Begebenheit: Wir fuhren, alle eingepfercht in einem Viehwagon nach Litzmannstadt. Wir fuhren dabei über einen sehr breiten Fluss. So etwas habe ich noch nie gesehen und es war für mich auch sehr interessant. Die Brücke, über die wir dabei fuhren, war eine große Stahlbrücke. In dem Moment, als wir auf der Brücke, direkt über dem Wasser waren, kam der Zug zum Stillstand. Einige Mitreisende öffneten die Schiebetür des Zuges einen Spalt weit, um hinauszuschauen. Mich hatte es auch sehr interessiert, weshalb ich auch an der Tür war. In dem Moment als ich gerade rausschaute, fuhr der Zug wieder ruckartig an. Durch dieses Anfahren öffnete sich die Schiebetür des Waggons und ich wäre dort in den Fluss gefallen, hätte mich nicht ein Mitreisender von hinten an den Kleidern gepackt und festgehalten. So rettete der Herr auch in dieser Situation mein Leben. In Litzmannstadt mussten wir ein großes Bad passieren und wurden dann vom Roten Kreuz neu eingekleidet, da unsere Alten Kleider voller Läuse waren. Wir wurden dann nach Kramsried (Kreis Konin/Polen) gebracht. Hier wurden wir als Deutsche Staatsbürger eingebürgert. Der Krieg holt uns ein Dann holte uns auch der Weltkrieg ein. Wir mussten wieder alles stehen und liegen lassen und fliehen. Wir kamen auf einen polnischen Bauernhof. Hier haben wir eine Unterkunft erhalten: Ein Zimmer mit Stockbetten und Matratzen mit Stroh gefüllt. Keine Decke und kein Kissen waren da vorhanden. Alle mussten wir hier schwere Feldarbeit verrichten. Sogar ich, als 8-jähriger Bub musste auf dem Feld Graß rausreißen. Der Dank für die schwere Arbeit war eine sehr dürftige Mahlzeit. In dieser Situation rief unsere Mutter zu Gott und Betete: “Herr hilf, sonst sterben wir hier.” Am nächsten Tag ging sie zu Roten Kreuz und bat um eine Ausreisegenehmigung nach Deutschland in die Stadt Jena zu ihrer Schwester, Boljak Agate. Dies wurde uns dann auch erlaubt. Nun kamen wir in Jena an. Wir waren zwei Familien die zusammen ein Haus bekamen, direkt in der Stadt Jena. Es war Kriegszeit. Jede Nacht hörte man Fliegeralarm in der Stadt, weil die Amerikanische Luftwaffe die Stadt bombardierte. Unsere Mutter betete jetzt auch zum Herrn und bat um Hilfe, um diesen nächtlichen Angriffen zu entkommen. Uns wurde dann erlaubt, in das 7 Kilometer entfernte Krippendorf zu ziehen. Hier waren wir dann relativ sicher von den Fliegerbomben. Nachts sah man, wenn unten im Tal die Stadt Jena bombardiert wurde. Da war es dann Taghell bei uns in den Stuben. Im April 1945 übernahmen dann die Amerikaner diesen Teil Deutschlands und kamen auch nach Jena und Krippendorf. Mit ihren Panzern und Geländewagen fuhren sie dann durch Krippendorf. Der Krieg war beendet. Keine Bomben und keine Schießerei waren mehr zu hören. Man konnte ungehindert bis nach Jena gehen, was vorher nicht möglich war. Wir trafen dann auch wieder die Familie Boljak. Gott hat auch diese Familie wunderbar bewahrt bei den nächtlichen Bombenangriffen. Eines Nachts als mein Onkel, Johann Boljak, zur Arbeit auf dem Bauhof war, hörte man wieder Fliegeralarm. Ihm und den anderen anwesenden Kollegen wurde gesagt, sie sollen in den Keller und sich alle auf den Boden legen. Er hörte aber auf eine andere Stimme und blieb stehen. Als die Bomben den Bauhof trafen, fielen die Trümmer und begruben alle unter sich. Nur Onkel Boljak blieb am Leben und konnte sich nach zwei Tagen befreien. Am dritten Tag kam er nach Hause. Wir wohnten zu dieser Zeit noch in Jena und ich sehe es noch wie heute. Er kam rein ins Haus, den Kopf verbunden und verletzt. Er begrüßte niemanden sondern sagte, dass wir zusammen erst Gott danken sollen. Danach begrüßte er alle. Gott hatte die Gebete seiner Frau und Kinder erhört und ihn wieder wohlbehalten nach Hause gebracht. Vater Boljak war ein guter Prediger. Nachkriegsleben in Ostdeutschland Nach Ende des Krieges begann für uns alle ein neues Leben. Das Kartensystem trat in Kraft. D.h. dass wir für jeden Tag ein wenig Brot und Suppe aus Päckchen bekamen. Diese Menge war aber nicht genug, um uns satt essen zu können. Meine Schwester Anna hatte deshalb Arbeit bei einem Bauer gefunden, bei dem sie Kartoffeln für die Schweine kochen musste, um sie damit zu füttern. Einige male durfte ich mit ihr zum Bauer und habe mich bei dieser Gelegenheit auch richtig satt gegessen mit Kartoffeln. Dann durfte ich aber nicht mehr mit, da der Bauer dies verboten hatte. Er sagte, dass die Kartoffeln nur für die Schweine bestimmt seien. Meine Mutter spielte sehr gern Gitarre. Besonders jetzt nach dem Krieg begann sie wieder damit. Sie spielte sehr gerne Heimatlieder aus dem Dreiband. Wir sangen immer Abends mit offenem Fenster, dass man es draußen gut hören konnte. Ich erinnere mich auch noch daran, wie uns unsere Mutter Sonntags immer zu Boljaks mitnahm, um dort mit ihnen Andacht zu haben. Wir Jungs spielten mit unseren Freunden oft draußen auf den Feldern. Eines Tages warnte Meine Mutter mich, dass ich nicht mitgehen soll und lieber zu Hause bleiben soll. Ich gehorchte diesmal und ging nicht mit. Später erfuhr ich, dass meine Freunde durch eine Mine, die sie gefunden hatte, getötet oder schwer verletzt wurden. Die Amerikaner hatten diese Minen um ihre Lager verteilt, um sich vor Angriffen zu schützen. So hat der Herr mich auch hier vor einem Unglück bewahrt. Ihm sei Dank dafür. Ich ging dennoch oft zu den Amerikanischen Soldaten, da ich von denen immer ein Laib Brot bekam und es nach Hause brachte. Wir freuten uns alle sehr, weißes Brot zu essen. Einige Male bekam ich auch Kaugummi von den Soldaten. Rückführung nach Russland Jetzt kam auch mein Bruder Hans von der Front nach Hause. Er bekam von seinem Arbeitbeger (der Burgermeister [von Halle]) alle Papiere, so dass er ein Reichsdeutscher war. Zu dieser Zeit im Jahre 1945 teilten die Besatzungsmächte Deutschland in vier Teile auf. Der Osten, in dem wir uns befanden, wurde dem Sowjetischen Befehl unterstellt. So wurden nun alle Deutsche, die aus Russland kamen, in Lagern gesammelt, um sie wieder nach Hause zu bringen. Mein Bruder Hans erfuhr, dass es eine Lüge war und kam zu uns ins Lager und erzählte uns davon. Wir wussten nun, daß es nicht nach Hause geht, sondern nach Sibirien in den Wald. Hans entschloss sich, mitzugehen. Er zerriss die Deutschen Papiere vor den Augen meiner Mutter und sagte, dass wir alle verhungern, wenn er nicht mitkommt um für uns zu arbeiten. So ging es los. In Deutschland wurden wir in normale Reisewagen der Bahn verladen. Jede Familie nahm sehr viele Sachen mit, da sie dachten, es geht nach Hause in die Ukraine. Jede Familie bekam ein Abteil mit sechs Plätzen. Wir fuhren dann einige Tage, bis wir in Polen ankamen und an einer Bahnstation angehalten wurden. Nach einiger Zeit wurde unserer Zug etwa einen Kilometer vom Bahnhof entfernt in einer Sackgasse abgestellt. Hier wurde uns gesagt, dass wir hier die Nacht verbringen mussten und es Morgen weiter geht. Die Leute fingen an sich Tee oder etwas anderes zu kochen und sich für die Nacht fertig zu machen. Am abend verließen auch die mitreisenden Soldaten den Zug. Sofort wurden sie aus einem Eisenbahnhäuschen beschossen. Alle diese Soldaten kamen ums Leben, obwohl der Krieg zu Ende war und sie auf der Heimreise zu ihrem Familien waren. Von uns Zivilen Leuten wurde keiner angegriffen. Am nächsten Tag kamen andere Soldaten in den Zug und wir fuhren wieder los. So fuhren wir bis Brost, wo wir in Viehwaggons umgelanden wurden. Auf der Strecke von Archangelsk nach Wologda wurde in jedem Rajon (deutsch: Gebiet) ein Waggon abgehängt und die Leute, die in diesem Zug waren, bis zu 50 Kilometer tief in den Wald geschickt. Unsere Station, in der wir abgehängt wurden hieß Mitinskij Lessopunkt Kilometer 15. Von dort wurden wir ein Geländewagen verfrachtet und zum Kilometer 15 gebracht. Fortsetzung folgt. - Jakob Plett
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WriterIrene Plett is a writer, poet and animal lover living in South Surrey, British Columbia, Canada. Categories
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